Barrieren abbauen, um Teilhabe zu fördern
Antrittsvorlesung
Es ist die Aufgabe von heilpädagogischen Fachpersonen, Barrieren zu erkennen und sich für deren Abbau einzusetzen. Ziel sei eine wirkliche Teilhabe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, fordert Cornelia Müller Bösch im Rahmen ihrer Antrittsvorlesung.
Trilemma erzeugt Spannungsfelder. «Inklusion ist ein Prozess, der viel Geduld braucht», ist Cornelia Müller Bösch überzeugt. An ihrer Antrittsvorlesung zeigt sie die Spannungsfelder auf, die damit verbunden sind. Sie nennt es das «Trilemma der Inklusion». Es ist ein Dreiecksmodell mit den Ecken «Normalisierung», «Empowerment» und «Dekonstruktion». Das Problem: Immer nur zwei der drei Ecken können sich gegenseitig befruchten und ergänzen. Die dritte Ecke «stört» und fällt jeweils raus. Ein Beispiel: Empowerment bedingt, dass eine heilpädagogische Fachperson eine differenzierte Förderplanung erstellt. «Doch wenn wir gleichzeitig Dekonstruktion fordern – also keine Unterscheidung zwischen behindert und nicht-behindert mehr machen», erläutert Müller Bösch dieses Spannungsfeld, «dann könnte auch diese spezifische Unterstützung wegfallen. Und das wollen wir nicht.»
Abbau von Barrieren. Doch diese eher akademischen Gedankenspiele sind für Cornelia Müller Bösch nur die Aufwärmübungen für die echten Fragen, welche die Praxis bewegen. Denn als langjährige Sonderschullehrerin weiss sie, mit welchen Barrieren Schüler:innen mit einer kognitiven Beeinträchtigung im inklusiven Unterricht zu kämpfen haben: «Die Regelschule gewichtet abstrakte kognitive Fähigkeiten zu stark», ist die Expertin überzeugt. Was fehle: Der Bezug zur Lebenswelt – das gelte übrigens auch für normalbegabte Kinder. So wäre es im Mathematikunterricht hilfreich, mehr mit Grössen zu hantieren und den Fokus weniger stark auf das abstrakte Operieren mit Zahlen zu richten. «Heilpädagogische Fachpersonen haben die Aufgabe, solche Barrieren aufzuspüren – und zu beseitigen», fordert Müller Bösch. «Anders kommen wir der Inklusion nicht näher!»
Auch an Hochschulen. Ein wichtiges Anliegen ist für Cornelia Müller Bösch die Öffnung der beruflichen Aus- und Weiterbildung für die Betroffenen. «Heute ist für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung nach zwei Jahren Berufsausbildung Schluss. Unter dem Gesichtspunkt des lebenslangen Lernens ist dies eine Diskriminierung», so Müller Bösch. Mit ihrer Professor:innenstelle hat sie deshalb einiges vor: So will sie zum Beispiel die HfH für Studierende mit kognitiver Beeinträchtigung zugänglich machen. Müller Bösch: «Ich messe meine Arbeit daran, wie ich echte Teilhabe verbessern kann!» Wie sie sich das vorstellt und ob es ihrer Ansicht nach weiterhin Sonderschulen braucht, erläutert sie im nachfolgenden Video-Interview.
Video-Interview mit Cornelia Müller Bösch
Die Veranstaltung fand am 23. September 2022 an der HfH statt und wurde online übertragen. Prof. Cornelia Müller Bösch ist Professorin am Institut für Behinderung und Partizipation.
Autoren: Steff Aellig, Dr. und Dominik Gyseler, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation