Verhaltensprobleme
Kategorie Institutsthema
Kinder mit Verhaltensproblemen stellen die Schule vor grosse Herausforderungen. Forschungsbefunde können helfen, diese besser zu bewältigen.
Forschung für die Praxis. Forschungsbefunde können Fachpersonen, die sich für den integrativen Weg entschieden haben, dabei unterstützen, ihn in die Praxis umzusetzen. Zwei Fragen sind aus Sicht von Lehrpersonen entscheidend: Was hat die Forschung herausgefunden? Und inwiefern ist das für mich relevant? Im Zentrum steht die Tragfähigkeit der Regelschule. Je höher diese ist, desto besser funktioniert die Integration von Kindern und Jugendlichen mit herausforderndem Verhalten. Wie die Tragfähigkeit ganz konkret erhöht werden kann, zeigen die folgenden Punkte.
Grafik. Die fünf Säulen, welche die Tragfähigkeit der Regelschule im Umgang mit Verhaltensproblemen verstärken: die Haltung der Lehrperson, das sozial-emotionale Lernen, Schutzfaktoren der Kinder, die Zusammensetzung der Schulklasse sowie die Möglichkeit, das System zu entlasten. Die Forschung trägt dazu bei, diese Säulen besser mit Inhalten füllen zu können.
Es ist kein Fass ohne Boden. Gefühlt gibt es immer mehr Kinder mit Verhaltensproblemen. Doch Studien zeigen: Die Zahlen sind konstant. So weist die Metaanalyse von Barkmann und Schulte-Markwort (2012), die total 34 Studien aus dem Zeitraum von 1953 bis 2007 umfasst, eine Häufigkeit von rund 20 Prozent nach. Warum diese Diskrepanz zwischen Gefühl und Statistik? «Das Thema scheint tief im Menschen verankert zu sein», sagt Prof. Dr. Dennis Hövel, Leiter des Instituts für Verhalten, sozio-emotionale und psychomotorische Entwicklungsförderung. Schon Sokrates habe vor 2'500 Jahren von der «Verrohung der Jugend» gesprochen, so der Institutsleiter. Heute nähren aktuelle Ereignisse das Gefühl, dass es immer schlimmer werde, so etwa die Pandemie oder der Krieg in der Ukraine. Dieser «permanente Krisenmodus» verschärft auch die Wahrnehmung von herausforderndem Verhalten in der Schule. Doch auch wenn die Zahlen nicht in die Höhe schnellen, gibt es ein Problem. «Wir haben einen Service-Gap», sagt Dennis Hövel. Von zwanzig Kindern mit einem erhöhten Förderbedarf werden heute nur einem davon auch sonderpädagogische Massnahmen zugesprochen. Und mehr Ressourcen wird es nicht geben. «Massnahmen müssen vermehrt präventiv ausgerichtet sein, bevor ein Problem offiziell attestiert ist», folgert Hövel und ergänzt: «Es gibt eine Reihe von präventiven Ansätzen, deren Wirksamkeit empirisch belegt ist.»
Sozial-emotionales Lernen in der Klasse wirkt präventiv. «Im Idealfall entschärft man Verhaltensprobleme, bevor sie eskalieren», sagt Dennis Hövel. Doch wie geht das? Indem man das sozial-emotionale Lernen, kurz SEL, konsequent in den Unterricht integriert – für alle. Dabei lernen die Kinder zum Beispiel, ihre Gefühle, Gedanken und ihr Verhalten in verschiedenen Situationen zu regulieren – wenn zum Beispiel die Matheklausur mal wieder in die Hose gegangen ist und das Kind seinem Frust am liebsten freien Lauf lassen würde. «Schulen, die mit SEL im Unterricht arbeiten, weisen weniger Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf zu», sagt Dennis Hövel. Das zeigt die Studie von McCormick et al. (2019): Kinder, die bereits im Kindergarten und in der 1. Klasse im sozial-emotionalen Lernen gefördert werden, benötigen bis zum Ende der 5. Klasse seltener sonderpädagogische Unterstützung. Mehr erfahren Sie im Institutsthema «Sozial-emotionales Lernen».
Es ist die Gretchenfrage: Was kann man als Lehrperson konkret tun, um einzelne Kinder mit Verhaltensproblemen besser in den Griff zu kriegen? «Aus der Forschung kennen wir eine Reihe von Schutzfaktoren, die man gezielt fördern kann», sagt Dennis Hövel. Die Metaanalyse von Hövel et al. (2019) zählt auf, was einen Unterricht ausmacht, der darauf ausgerichtet ist: «Geschützte Kinder» kennen Tools zur Bewältigung von Stress, haben eine stabile emotionale Beziehung zur Lehrperson aufgebaut und haben immer wieder kleine Lernerfolge. Zudem ist die Zusammensetzung der Klasse wichtig: So zeigt die Studie von Pretis und Dimova (2016), dass der alltägliche Kontakt zu nicht belasteten Gleichaltrigen entscheidend ist.
Alle Kinder profitieren vom integrativen Unterricht – aber es gibt Grenzen. Verhaltensauffällige Kinder können integriert werden. Doch das gehe zu Lasten derer, die keinen erhöhten Förderbedarf haben, monieren Kritiker. «Das ist ein klassischer Inklusionsmythos», sagt Prof. Pierre Link, Professor für Erziehung und Bildung im Feld sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung. So zeige die breit angelegte Berliner Inklusionsstudie von Ahrbeck (2022), dass die gemeinsame Beschulung für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler nicht nachteilig ist: Sie können ihr Leistungsniveau halten und erleben das soziale Miteinander als positiv. Allerdings gibt es eine Grenze: «Zu viele Kinder mit massiven Verhaltensauffälligkeiten können dazu führen, dass die Lehrkräfte überfordert sind und nicht genügend Zeit und Ressourcen für die individuelle Förderung haben», sagt Pierre Link.
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