Die inklusive Schule als Ausgangslage, nicht als Ziel
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Wie kann die Inklusion gelingen? Nur, wenn wir uns alle dafür engagieren, betonte Prof. Dr. Christoph Suter im Rahmen seiner Antrittsvorlesung «Professionalität für eine inklusive Schule».
Prof. Dr. Christoph Suter ist seit Dezember 2022 Leiter des Instituts für Professionalisierung und Systementwicklung an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH). Er übernahm die Leitung von Prof. Dr. Andrea Lanfranchi, der das Institut seit 2017 auf- und ausgebaut hatte. Im Fokus des Instituts stehen die Professionalisierung von pädagogischen Fachpersonen, die Weiterentwicklung von Organisationen sowie die Umsetzung wirksamer heilpädagogischer Angebote in der Praxis. Mehr zum Institut
Die Rektorin der HfH Prof. Dr. Barbara Fäh begrüsste die Gäste der Veranstaltung mit einleitenden Worten zum Sinn und Zweck einer Antrittsvorlesung, die zugleich eine Einführung in das Fachgebiet darstellt, einen Einblick in die Schritte zur weiteren Profilierung des Instituts bietet und einen Austausch zum Thema ermöglicht. Dies bildete den inhaltlichen Rahmen der Veranstaltung. Anschliessend gab sie einen Einblick in die beeindruckende Laufbahn von Christoph Suter, in der die Frage nach der Professionalisierung im schweizerischen Bildungssystem, insbesondere was es braucht, um die Schule weiterzuentwickeln und für alle zugänglich zu machen, stets im Fokus war.
Zum beruflichen Werdegang
Nach der Ausbildung als Sekundarlehrer unterrichtete Christoph Suter von 1993 bis 2007 an der Oberstufe Sernftal im Kanton Glarus und war Mitglied der Schulleitung. Erste Begegnungen mit einer Pädagogischen Hochschule hatte er als Praxislehrer der PH St. Gallen. Nach dem Masterabschluss in Teaching English as a Foreign/Second Language an der University of Birmingham 2003 wechselte er an die PH Zürich. Von 2004 bis 2018 arbeitete Christoph Suter als Bereichsleiter Sprachen der Abteilung Primarstufe, war Dozent für Didaktik des Englischunterrichts auf der Sekundarstufe I und Mentor in der berufspraktischen Ausbildung.
Nach dem Abschluss der Dissertation mit dem Titel «Inklusiver aufgabenorientierter Englischunterricht. Kooperative Entwicklung und Erprobung eines Unterrichtsmodells in der Praxis» an der PH Freiburg/Breisgau im Jahre 2019, wechselte Christoph Suter an die PH Thurgau in Kreuzlingen als Prorektor Akademisches Personal und Mitglied der Hochschulleitung.
Inklusive Schule und ihre gesellschaftliche Bedeutung. Seine Ausführungen zur inklusiven Schule begann Christoph Suter mit ihrer Verortung im geltenden rechtlichen Rahmen und einer Definition: in der Bundesverfassung (Artikel 8, Diskriminierungsverbot), im Behindertengleichstellungsgesetz (Artikel 20, Integration behinderter Kinder und Jugendlichen in die Regelschule) und in der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 24, Bildung), mit der sich die Schweiz 2014 dazu verpflichtet hat, inklusive Bildung zu ermöglichen. Nach Nils Jent kann man Inklusion folgendermassen definieren: «Inklusion […] bedeutet, dass beide Seiten, sowohl das System wie auch die Person, die darin aufgenommen werden soll, bereit sind, sich zu verändern und aufeinander zuzugehen. Durch dieses Miteinander entsteht ein neues System.»
Menschliche Vielfalt als Ausgangslage. Christoph Suter bekräftigt eine Sichtweise, in welcher auf binäre Unterscheidungen zwischen «behindert» und «nicht-behindert» und die damit verbundene Kategorisierung von Menschen so weit wie möglich verzichtet wird. Stattdessen soll man von menschlicher Vielfalt ausgehen: Die Inklusion wird somit zur Ausgangslage und ist nicht das Ziel. Für pädagogische Zusammenhänge gilt dann, individuell auf jedes Kinder und die möglichen Bildungshemmnisse einzugehen und Unterstützung zu bieten, um diese Hemmnisse zu bewältigen. In seinem Vortrag hob er besonders hervor, dass sich aufgrund der hohen gesellschaftlichen Bedeutung alle für eine inklusive Schule und für die Weiterentwicklung des Systems engagieren müssten: «Was kann ich dazu beitragen?» wird zur zentralen Frage. Und es braucht Veränderungen, von denen alle profitieren können. Wie kann das Institut für Professionalisierung und Systementwicklung unterstützen, dass Inklusion zur Realität wird?
Die Mitarbeitenden des Instituts leisten wertvolle Arbeit im Rahmen des vierfachen Leistungsauftrags.
Professionalisierung auf Makro-, Meso- und Mikroebene. Die Mitarbeitenden des Instituts tragen im vierfachen Leistungsauftrag dazu bei, dass gute Lösungen für die Praxis sowie Entscheidungsgrundlagen bereitgestellt werden. Unter Professionalisierung kann man die Entwicklung von Professionalität verstehen; Entwicklungen können dabei aus der Perspektive des Systems (Makroebene), der Organisation (Mesoebene) oder der Person (Mikroebene) betrachtet werden. Somit ergeben sich zahlreiche Schwerpunkte in Aus- und Weiterbildung als auch Forschung und Dienstleistung, welche bearbeitet werden. Ein aktuelles Beispiel ist die professionelle Zusammenarbeit auf Ebene der Organisation, welche im Projekt «Zusammenarbeit an Schulen – inklusionsorientiert und multiprofessionell» (ZaS) fokussiert wird. Das Thema Kooperation wird auch in der März-Ausgabe des Hochschulmagazins behandelt, welches mit dem Institut umgesetzt wurde. Zum Magazin
Partizipation ist für Inklusion konstitutiv. Als Fachgebiet von Christoph Suter ist der inklusive Unterricht, insbesondere der inklusive Fremdsprachenunterricht, zu nennen. Hierfür sind Partizipation und Kompetenzentwicklung zentral, wie er im Vortrag schilderte. Zu diesem Zweck werden offene Unterrichtsformen mit interaktiven Lehr-Lern-Arrangements und Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Lernenden geschaffen. Die Lernenden lernen an einem gemeinsamen Lerngegenstand und schöpfen aus allen vorhandenen Ressourcen (der Lehrperson, der Lernenden, von Unterrichtsmaterialien, Medien, usw.).
Zum Abschluss seiner Ausführungen im Rahmen der Antrittsvorlesung stellte Christoph Suter ein konkretes Forschungsprojekt vor, bei dem er mitgewirkt hatte. Das Forschungssetting: In gemischten Lerngruppen, in welchen die Englischkenntnisse der Schülerinnen und Schüler unterschiedlich gut waren, bereiteten die Schulkinder eine Präsentation zu einem der beiden zur Auswahl stehenden Themen vor. Die Lehrerin richtete dabei die Aufmerksamkeit ausschliesslich auf die Lerngruppe als zusammenarbeitende Einheit. Zur Unterstützung bot sie beispielsweise Vokabular zur Kommunikation in der Gruppe. Als Ergebnis entstand ein bunter Marktplatz, zu dem die Schülerinnen und Schüler alle einen individuellen Beitrag geleistet hatten. Die Hauptfaktoren, die sich herauskristallisierten, waren Motivation, Unterstützung über den Projektzeitraum hinweg sowie die Zusammenarbeit der Lehrpersonen untereinander und mit den Lernenden – und nicht das unterschiedliche Sprachkenntnisniveau der Schulkinder.
Optimistischer Blick in die Zukunft. Christoph Suter ist zuversichtlich, dass «wir uns in einem Entwicklungsrahmen Richtung inklusive Schule befinden. Der Prozess verläuft zwar nicht ohne Reibereien und ohne Rückschläge, aber wenn wir uns alle von Thema Inklusion angesprochen fühlen und nach Antworten suchen, sind wir auf einem guten Weg.» Um John Hattie, den renommierten neuseeländischen Pädagogen, sinngemäss zu zitieren: «Das Wichtigste ist, dass Lehrerinnen und Lehrer hohe Erwartungen an alle Schüler:innen haben. Man soll als Lehrperson alle Schulkinder primär als Lernende sehen und ihnen allen zumuten, dass sie Lernfortschritte machen können.» Schliesslich ist für die inklusive Schule ganz entscheidend, wie Personen darüber denken, was sie tun.
Den Abend liess man bei einem Apéro ausklingen.
Die Veranstaltung fand am 24. Oktober 2023 vor Ort statt und wurde online übertragen. Insgesamt nahmen rund 100 Gäste an der Antrittsvorlesung teil.
Hinweis: Falls Sie die PowerPoint-Präsentation erhalten möchten, können Sie sich gerne mit einem kurzen E-Mail an die Hochschulkommunikation (kommunikation [at] hfh.ch) wenden.
Autorin: Kristina Vilenica, MA, Mitarbeiterin Hochschulkommunikation, HfH