Welche Form nimmt die Stummheit an?

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Der Film, der an der diesjährigen Oscarverleihung zu den grossen Gewinnern zählte und ebenso den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig gewann, ist ein Triumph für die Aussenseiter in unserer Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht im Baltimore der 1960er Jahre die alleinstehende Elisa Esposito (Sally Hawkins). Als Baby wurde sie ausgesetzt und ist seitdem aufgrund mysteriöser Narben am Hals stumm. Sie kommuniziert durch Gebärdensprache. Elisa hat nur zwei Freunde: zum einen den homosexuellen und arbeitslosen Nachbar Giles (Richard Jenkins) und zum anderen ihre resolute und geschwätzige afroamerikanische Arbeitskollegin Zelda Delilah Fuller (Octavia Spencer), die für sie bei der Arbeit als Übersetzerin agiert. Elisa und Zelda gehen einem Job als nächtliche Reinigungskraft im Occam Aerospace Research Center nach, einem strenggeheimen Hochsicherheitslabor der US-Regierung. Dort gerät Elisa in Kontakt mit einem Wesen, halb Amphibie, halb Mensch (Doug Jones), mit welchem die USA auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges den Wettstreit mit dem Weltraumprogramm der Sowjetunion gewinnen wollen.

Elisa ist direkt fasziniert von dem Wesen, in dem sich Andersartigkeit und Einsamkeit genau wie bei ihr spiegeln. Wie sie kann auch er nicht sprechen und der Film zeigt, dass durchaus auch ohne Sprache kommuniziert werden kann – mitunter lustig inszeniert. Elisa spürt die Wesens- und Seelenverwandtschaft, spielt dem Wesen Musik vor und unterrichtet es in Gebärdensprache, sodass schon bald eine rudimentäre Kommunikation stattfindet. Was darauf und schlussendlich folgt, ist nicht schwer zu erraten. Elisa wird sogar zur Heldin, was völlig natürlich dargestellt ist. In den Vordergrund gestellt wird ihre Zuversicht, Zielstrebigkeit und der Wille, ihre Anliegen durchzusetzen, selbst wenn alles dagegen spricht. Die Hauptdarstellerin wird auch sonst mit vielen Kompetenzen ausgestattet. Doch nicht alles ist positiv: der Sicherheitschef schätzt Elisa als gehörlos ein, findet ihre Behinderung gar sexy, es folgen entsprechende Avancen. Dennoch gibt Elisa ihm selbstbewusst Kontra, ausnutzend, dass er Gebärdensprache nicht versteht. Hier werden Rollen völlig umgekehrt.

Ein absoluter Feelgood-Film und ein seltener Fall im Kino, der das Kommerzielle mit dem Gehaltvollen verbindet. Zu sehen ist eine leicht verspielte Welt, die den subtil satirischen Ansatz des Filmes betont, der darüber hinaus einen aktuellen Bezug zur politischen Lage aufweist. «The Shape of Water» zeigt eine Welt, die immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät, und fast nur aus Aussenseitern besteht, die alle positiv dargestellt werden. Menschen mit hohem gesellschaftlichen Ansehen, beispielsweise die Ordnungs- und Sicherheitshüter - alle mit weisser Hautfarbe und männlich -, werden hingegen durchwegs negativ gezeichnet. Als Höhepunkt finden zwei, die nicht kommunizieren können - jedenfalls nicht auf die übliche Art - zusammen und zeigen, dass Sprache für die Liebe nicht essentiell ist, ganz im Gegenteil. Und überhaupt: ein Film als Plädoyer für Diversität und Solidarität.

 

Autor: Dr. Achim Hättich