Zwischen Problemfokussierung und dem Anderssein als Superkraft

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Prof. Dr. Andreas Eckert bei seiner Antrittsvorlesung. (Foto: HfH)

Das öffentliche Interesse an Autismus-Spektrum-Störungen war vielleicht noch nie so gross wie 2019, denn mit Greta Thunberg wurde auch das Asperger-Syndrom weltberühmt. Prof. Dr. Andreas Eckert, der sich schon seit rund dreissig Jahren mit Autismus beschäftigt, wählte denn auch eine Aussage der jungen schwedischen Klimaaktivistin zum Einstieg in seine Antrittsvorlesung: «Ich habe das Asperger-Syndrom und das bedeutet, dass ich manchmal ein bisschen anders bin als die Norm. Und anders sein ist – wenn die Umstände stimmen – eine Superkraft.»

Definition. Nach der darauffolgenden kurzen Einführung zur Definition und (diagnostischen) Charakteristika des Asperger-Syndroms fokussierte der vom Hochschulrat im August gewählte Professor auf zwei Aspekte, die beide in dem einen Satz von Greta Thunberg enthalten sind: Erstens auf die Frage, wie und als was Autismus betrachtet und gedeutet wird und zweitens auf die Worte zwischen den Gedankenstrichen in dem Zitat: «die richtigen (Lebens-)umstände».

Autismus als Superkraft ist eine noch junge Deutung, Eckert stellt weitere ebenfalls neuere (Forschungs-)Beispiele vor, in denen der Blick auf die Ressourcen, Stärken und das Wohlbefinden im Vordergrund stehen. Ihr gegenüber steht die tradierte negative Deutung mit ihrer Problemfokussierung. Während Letztere Stigmatisierungen in den verschiedensten Lebenslagen befördert, birgt das Superkraft-Narrativ, wie es in der öffentlichen Darstellung derzeit verbreitet ist, seinerseits die Gefahr der oberflächlichen, einseitigen Deutung. Andreas Eckert erörtert die Notwendigkeit eines differenzierten Blicks sowohl auf die Stärken als auch auf die Schwierigkeiten: «Diese Balance bildet die Grundlage für eine Erfassung des individuellen Unterstützungsbedarfs.»

Unterstützungsbedarf. Dem Unterstützungsbedarf widmete er den dritten Teil seiner Vorlesung. Es geht um Fragen, welches die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen sind, was ideale (Lebens-)Umstände für junge Menschen mit einem Asperger-Syndrom sind und auch darum, wie es gelingt, stets die Perspektive des Kindes bzw. Jugendlichen im Zentrum zu haben. Andreas Eckert betont, die notwendige Entwicklung von Instrumenten und Orientierungshilfen: «Sie können genauso eine Aufgabe der Forschung sein wie das Verstehen, was Asperger bedeutet.» Die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit dem Asperger-Syndrom sollte, so sein Fazit in Anlehnung an Greta Thunbergs Aussage: «Lebensumstände schaffen, die ein Wohlbefinden und die Nutzung der individuellen Potenziale ermöglichen.»

Professorenstelle an der HfH. Andreas Eckert ist seit 2009 an der HfH, wo er von Anfang an dazu beigetragen hat, das Thema Autismus zu stärken. Er ist Mitarbeiter am Institut für Sprache und Kommunikation unter erschwerten Bedingungen und Dozent im Masterstudiengang Sonderpädagogik, Schwerpunkt Pädagogik bei Schulschwierigkeiten. Ferner leitet der studierte Heilpädagoge die Fachstelle Autismus und verantwortet zusammen mit Remi Frei den CAS Autismus-Spektrum-Störung. Eckert verbindet seine Forschungsarbeit mit jahrelangem Praxiswissen, das er sich vor seiner Zeit an der HfH parallel zu seinem wissenschaftlichen Aufstieg bis hin zur Habilitation angeeignet hat.

Am 1. August wurde Andreas Eckert als Professor für Kommunikation und Partizipation bei Autismus-Spektrum-Störungen an der interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik berufen. Die Powerpoint-Folien zu seiner Antrittsvorlesung, die Eckert vor zahlreichen interessierten Fachpersonen und Mitarbeitenden hielt, kann auf Anfrage bei andreas.eckert [at] hfh.ch (andreas[dot]eckert[at]hfh[dot]ch) bestellt werden.

Autorin: Esther Banz, freischaffende Journalistin aus Zürich