Entwicklung eines Testinstruments für Theory of Mind und Emotionsverstehen bei hörbehinderten jungen Kindern

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Laut Theory of Mind (ToM) besitzt jemand sogenannte ToM-Kompetenzen, wenn er

  • weiss, dass Menschen denken und fühlen,
  • sich in die Gedanken und Gefühle andere Menschen hineinversetzen kann,
  • verstehen kann, dass sich das eigene Wissen, die eigenen Überzeugungen und Wünsche von denen anderer Menschen unterscheiden können,
  • weiss, dass andere Menschen Intentionen haben,
  • die Gefühle und Gedanken anderer Menschen einschätzen und ihr Verhalten vor diesem Hintergrund interpretieren kann,
  • weiss, dass man letzteres für sich nutzen kann.

Die ToM-Kompetenzen sind ein Baustein unserer sozial-kognitiven Kompetenz. Wenn wir kein Interesse am anderen hätten, wir kein Gefühl für dessen Bedürfnisse hätten und wir kein differenziertes Verständnis seiner Perspektiven entwickeln würden, dann könnten wir kein Mitgefühl mit anderen haben. Damit würde man keine Rücksicht auf andere nehmen oder Respekt haben. Gleichzeitig würden wir uns auch das Wissen über die Gefühle und Bedürfnisse anderer nicht zunutze machen.

Kinder lernen diese Fähigkeit schon recht früh. Anhand des Untersuchungsparadigmas des falschen Glaubens («false believe») können Stufen in der Entwicklung festgestellt werden.

Ergebnisse zeigen, dass hörbehinderte Kinder schlechtere ToM-Kompetenzen zeigen als hörende Peers, auch wenn der Test sprachlich angepasst ist (Gebärdensprache). Dies schon in den niedrigsten Kompetenzstufen. «The body of research on ToM development in deaf children thus suggests that, provided a child’s hearing loss is severe to profound, and provided that no other family member is a fluent native signer, a lag of some 3 to 5 years behind normally hearing children is apt to be observed» (Peterson, 2004, S. 1096). Ergebnisse aus Interventionsstudien weisen jedoch darauf hin, dass diese Verzögerung aufgeholt werden kann.

Projektleitung

Mireille Audeoud Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Researcher

Fakten

  • Dauer
    09.2017
    07.2018
  • Projektnummer
    4_38

Projektteam

  • Tamara Bangerter
  • Claudia Becker
  • Katerina Antonopoulou
  • Kika Hadjikakou
  • K. Maridaki-Kassotaki

Fragestellung

Bei dem vorliegenden Projekt handelt es sich um ein Vorprojekt. Ziel war es, ein Instrument zu erproben, das das Emotionsverstehen (Test of Emotion Comprehension, TEC; Pons, Harris & deRosnay, 2004; 9 Komponenten) und Kompetenzen in Theory of Mind (ToM; Peterson et al., 2012; 5 Stufen: diverse Wünsche, diverse Vorstellungen, Zugang zu Wissen, falscher Glaube, versteckte Emotionen) bei hörbehinderten Kindern testet. Dieses Instrument wird in einem sich anschliessenden Projekt verwendet, bei dem ein Trainingsprogramm (Intervention) für hörbehinderte Kinder entwickelt und evaluiert werden soll.

Im vorliegenden Projekt wird die Durchführbarkeit mit hörbehinderten Kindern in Laut- und Gebärdensprache geprüft und gleichzeitig wird getestet, ob die Kinder effektiv tiefere Werte haben als hörende Peers.

Ergebnisse

In einem ersten Schritt wurden die beiden Tests und das Manual in Gebärdensprache übersetzt. Aus Zeitgründen konnte die Adaption nicht durch gehörlose Lehrpersonen/Therapeuten geprüft werden, es wurde jedoch mündlich evaluiert. Hörende, gebärdensprachkompetente Tester haben die Tests durchgeführt.

Getestet wurden 21 hörbehinderte Kinder im Alter zwischen 6 und 11 Jahren (M = 8.57, SD = 2.063), Hörgeräte oder CI versorgt. Alle werden in Zentren beschult.

Die hörbehinderten Kinder zeigen einen tieferen Wert für Emotionsverstehen als hörende Peers (mögliche Werte zwischen 0 und 10; Mhörb = 5, SD = 1.95, Vergleichsstichprobe von Göbel et al., 2016, M = 7.21, SD = 1.28). Dasselbe gilt für ToM-Testwerte (mögliche Werte zwischen 0 und 5; Mhörb = 3.62, SD = 1.50, Vergleichsstichprobe aus Peterson et al., M = 4.67, SD = 1.07). Nur 52% der Hörbehindertengruppe schafft die 1. Stufe «diverse Wünsche» (hörende Vergleichsstichprobe 95%) und nur 38% für «versteckte Emotionen» (Hörende 57%). Je älter die Kinder, desto höher sind ihre Werte (wie bei Hörenden).

Es ist also auch bei der von uns untersuchten Stichprobe, trotz sprachlicher Adaption, Handlungsbedarf angezeigt. Eine hörgeschädigtenspezifische Intervention ist notwendig. Zudem kann gesagt werden, dass die Tests so auch bei hörbehinderten Kindern durchgeführt werden können.

English version