Kinder und Digitale Medien

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Eine gesunde Entwicklung in der frühen Kindheit birgt aus medizinischer, psychosozialer und wirtschaftlicher Sicht langfristige Vorteile. Chancen und Risiken gesellschaftlicher Veränderungen für die frühkindliche Entwicklung müssen folglich identifizieren und adressiert werden. Eine solche Veränderung ist die Digitalisierung. Ziel des KiDiM-Projekts ist es, den Einfluss digitaler und nicht-digitaler Aktivitäten auf verschiedene Entwicklungsbereiche sowie die Rolle von individuellen und kontextuellen Moderatoren zu untersuchen. Nachdem die Durchführung am Marie Meierhofer Institut (MMI) erfolgreich wurde, wird die Valorisierungsphase als Kooperation zwischen dem MMI und der HfH weitergeführt.

Projektleitung

Fabio Sticca Titel Prof. Dr.

Funktion

Professor für Diagnostik und Förderung sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung

Fakten

  • Dauer
    01.2024
    12.2025
  • Projektnummer
    2_35

Projektteam

  • Patricia Lannen

Finanzielle Unterstützung

Ausgangslage

Eine systematische Literaturübersicht hat gezeigt, dass die Auswirkungen des Fernsehens auf die exekutiven Funktionen, die akademische Leistung, die Aufmerksamkeit, die Sprache und das Spielverhalten die gesamte Bandbreite von adaptiven bis maladaptiven Auswirkungen abdeckt (Kostyrka-Allchorne, Cooper & Simpson, 2017). Darüber hinaus fanden die Autoren heraus, dass die Auswirkungen von Bildschirmmedien von verschiedenen individuellen (z.B. Alter und Temperament), familiären (z.B. Bildungsniveau der Eltern und Qualität der Stimulation in der häuslichen Umgebung) und sozialen Faktoren (z.B. Beziehungsqualität und sozioökonomische Aspekte) abhängen. Ausserdem konnten die Autoren hervorheben, dass der Inhalt, das Format und der Typ der Exposition (Vordergrund vs. Hintergrund) weitere relevante Faktoren sind, die jedoch nur in wenigen Studien berücksichtigt wurden. In ihrem Fazit fordern die Autoren weitere Studien, die die langfristigen Auswirkungen der Häufigkeit, des Typs und des Inhalts von Bildschirmmedien und die Rolle von individuellen und kontextuellen Schutzfaktoren untersuchen. Die Diskussion zur Forschung über die Auswirkungen von Bildschirmen muss jedoch aufdatiert werden, denn neure Studien deuten darauf hin, dass Kinder bereits im Alter von wenigen Monaten Smartphones, Tablets usw. nutzen (Bernath, Waller & Meidert, 2020; Kieninger, Feierabend, Rathgeb, Kheredmand & Glöckler, 2020; Reid Chassiakos, Radesky, Christakis, Moreno & Cross, 2016; Rideout & Robb, 2020). Moderne Bildschirmmedien müssen einbezogen werden, da sie neue Möglichkeiten der Interaktion, Kreativität und Unterhaltung eröffnet haben, die nicht mit klassischem Fernsehen vergleichbar sind (Sticca, Brauchli & Lannen, 2020).

Methoden

Es wurden vier Tagebuchwochen (März 21, Juni 21, September 21 und Januar 22) sowie wiederholte Messungen der kindlichen Entwicklung durchgeführt. Zudem wurde eine Interaktionsbeobachtung zwischen Bezugsperson und Kind in einer standardisierten Spielsituation durchgeführt. Die Stichprobe bestand aus Eltern von Kindern, die zu Beginn der Studie bis zu 36 Monate alt waren. Die Rekrutierung fand zwischen Januar und Mai 2021 statt. Die Anzahl der Teilnehmer blieb über die vier Messzeitpunkte hinweg stabil. Die Anzahl der Teilnehmer bei T2 war höher als bei T1, da die Rekrutierung erst im Mai 2021 abgeschlossen wurde. Was die Eltern betrifft, die sich vor der ersten Tagebuchwoche registriert hatten (n=408), nahmen 366 (90 %) an allen vier Erhebungen teil. Von jenen Eltern, die sich nach der ersten Tagebuchwoche registriert hatten (n=54), nahmen 47 (87 %) an drei Erhebungen teil. Eine Prüfung der Selektivität des Ausfalls zeigte, dass es keine Selektivität in Bezug auf Bildungsstand, Haushaltseinkommen sowie elterlichen Stress und Bildschirmzeit der Kinder zu T1 gab. Zu Beginn der Studie lebte die grosse Mehrheit der Teilnehmer in der Schweiz (n=455) und der Anteil der Eltern mit einem universitären Abschluss lag über die vier Erhebungen im Bereich von 60%, sodass die Repräsentativität der Stichprobe in allen Analysen durch Gewichtungen optimiert werden muss.

Erwartete Ergebnisse

Die KiDiM-Studie wird Ergebnisse zu den Zusammenhängen digitaler und nicht-digitaler Aktivitäten mit der sozio-emotionalen, sprachlichen, motorischen und kognitiven Entwicklung von Kindern im Verlauf des Vorschulalters aufzeigen. Zudem wird die moderierende Rolle von individuellen und kontextuellen Faktoren longitudinal untersucht. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Bezugspersonen, die ein höheres Stresserleben berichten, ihren Kindern mehr Bildschirmzeit ermöglichen, insbesondere wenn sie eine positive Einstellung gegenüber digitalen Medien haben (Brauchli, Sticca, Edelsbrunner, von Wyl & Lannen, 2024). Weitere Ergebnisse legen nahe, dass bei Kindern die Bildschirmzeit mit vermehrten negativen Emotionen einhergehen kann. Es wurde jedoch keine direkte Verbindung zwischen Bildschirmzeit und Selbstregulation festgestellt (Brauchli, Edelsbrunner, et al., 2024).

Diskussion

Das Projekt adressiert die Auswirkungen digitaler Medien auf die sozio-emotionale, sprachliche, motorische und kognitive Entwicklung der Kinder. Die Erkenntnisse des Projekts bieten einen nachhaltigen Nutzen für die Gesellschaft, da sie dazu beitragen, die Diskussion über einen adaptiven Umgang mit digitalen Medien in der frühen Kindheit differenzierter und evidenzbasierter führen zu können. Diese Informationen werden sowohl für die breite Öffentlichkeit als auch für Fachpersonen aus unterschiedlichen Disziplinen sowie für Eltern von grosser Bedeutung sein. Die Relevanz des Projekts erstreckt sich auf die Ausbildung und Weiterbildung am MMI sowie an der HfH, da es einen wichtigen Beitrag zur Wissenserweiterung für Fachpersonen und Familien im Bereich der frühen Kindheit und darüber hinaus leistet. Das Projekt steht zudem in direktem Bezug zu den Themenfeldern der umsetzenden Organisationen (MMI, HfH).

Literatur

  • Bernath, J., Waller, G. & Meidert, U. (2020). ADELE+. Der Medienumgang von Kindern im Vorschulalter (46 Jahre). Chancen und Risiken für die Gesundheit. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.

  • Brauchli, V., Edelsbrunner, P. A., Castro, R. P., Barr, R., von Wyl, A., Lannen, P. et al. (2024). Screen time vs. scream time: Developmental interrelations between young children’s screen time, negative affect, and effortful control. Computers in Human Behavior, 108138. https://doi.org/10.1016/j.chb.2024.108138

  • Brauchli, V., Sticca, F., Edelsbrunner, P., von Wyl, A. & Lannen, P. (2024). Are screen media the new pacifiers? The role of parenting stress and parental attitudes for children’s screen time in early childhood. Computers in Human Behavior, 152, 108057. https://doi.org/10.1016/j.chb.2023.108057

  • Kieninger, J., Feierabend, S., Rathgeb, T., Kheredmand, H. & Glöckler, S. (2020). miniKIM-Studie 2020. Kleinkinder und Medien Basisuntersuchung zum Medienumgang von Kleinkindern in Deutschland. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs). Zugriff am 8.8.2022. Verfügbar unter: https://www.mpfs.de/fileadmin/user_upload/lfk_miniKIM_2020_211020_WEB_b…

  • Kostyrka-Allchorne, K., Cooper, N. R. & Simpson, A. (2017). The relationship between television exposure and children’s cognition and behaviour: A systematic review. Developmental Review, 44, 19–58. https://doi.org/10.1016/j.dr.2016.12.002

  • Reid Chassiakos, Y., Radesky, J., Christakis, D., Moreno, M. A. & Cross, C. (2016). Children and adolescents and digital media. Pediatrics, 138(5), e20162593. https://doi.org/10.1542/peds.2016–2593

  • Rideout, V. & Robb, M. B. (2020). The Common Sense census: Media use by kids age zero to eightCommon Sense Media.

  • Sticca, F., Brauchli, V. & Lannen, P. (2020). Ist es ok, wenn mein Kleinkind YouTube-Videos schaut? . Eine Gegenüberstellung verschiedener Empfehlungen zur Nutzung digitaler Medien in der frühen Kindheit. Frühförderung interdisziplinär, 39(4), 225–227.