Ausgangslage
Eine Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die alle sprachlichen Modalitäten, d.h. Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben betrifft. Vor dem Ereignis verfügten die Betroffenen in der Regel über eine normale Sprachkompetenz. Jährlich treten in der Schweiz ca. 5000 neue Aphasien auf (aphasie suisse o.J). Diese zentralbedingte sprachliche Funktionsstörung kann unterschiedliche Schweregrade aufweisen, d.h. leichte bis sehr schwere sprachliche Beeinträchtigungen. Betroffene sind häufig in sprachlich und kommunikativ so eingeschränkt, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert bis unmöglich ist.
Die Rehabilitation der Aphasie erfolgt durch sprachtherapeutische Einzel- und Gruppentherapie. Ziel der Therapie ist es durch gezielte Interventionen sprachliche Einschränkungen zu reduzieren und die Wiedereingliederung zu ermöglichen. Eine an der ICF ausgerichtete Sprachtherapie umfasst immer die Komponenten Funktion, Aktivität und Partizipation sowie personale- und Umweltfaktoren (vgl. Grötzbach & Iven 2014). Voraussetzung für eine gezielte individuelle Therapie, die zu einer bestmöglichen Partizipation führen soll, ist eine umfassende Diagnostik, die neben sprachlichen Funktionen auch Aktivitäten und die gesellschaftliche Partizipation erfasst. Aktivität ist dabei immer als ein Teil der Partizipation zu verstehen. Diagnostisch sollen ausgehend von relevanten alltäglichen Aktivitäten, zugrundeliegende Probleme auf der sprachlichen Funktionsebene erfasst werden, um dann entsprechende Therapieschwerpunkte setzen zu können.
Mit dem Kommunikativ-Pragmatischen Screening (KOPS; Glindemann et al. 2018) und der deutschen Adaption des Szenario Tests (van der Meulen et al. 2009; Nobis-Bosch et al. 2020) entstanden im deutschen Sprachraum in den letzten Jahren zwei standardisierte Verfahren, die die Bewältigung von sprachlich begleiteten Aktivitäten überprüfen. Die kommunikativen Fähigkeiten werden in den o.g. Verfahren unabhängig von der sprachlichen Modalität erfasst. Das bildet zwar die Kommunikationsfähigkeit mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ab, gibt aber nicht automatisch Auskunft, wie kommunikative Aufgaben sprachlich gelöst werden. Zudem geben diese Verfahren keine Hinweise auf die zugrundeliegenden Störungen in der Sprachverarbeitung. Ein standardisiertes Verfahren zur Erfassung von Einschränkungen der sprachlichen Bewältigung kommunikativ-sprachlicher Aktivitäten gibt es im deutschen Sprachraum bisher nicht.
In einem mehrteiligen Projekt möchten die Schweizer Hochschule für Logopädie Rorschach (SHLR) in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Heilpädagogik (HfH) und mit externen Fachpersonen diese Lücke in der Aphasiediagnostik schliessen. Entwickelt werden soll ein Diagnoseinstrument (Online-Tool), das die sprachliche Bewältigung kommunikativer Aktivitäten überprüft und gleichzeitig eine hypothesengeleitete Weiterführung der Diagnostik von zugrundeliegenden sprachlichen Funktionsstörungen auf den linguistischen Ebenen Phonologie, Semantik, Lexikon, Morphologie und Syntax erlaubt.