Lehrkräfte am Limit
Tagungsrückblick
Der Stress in der Schule ist hoch. Doch Lehrkräfte können ihn reduzieren. Mit Achtsamkeit, Emotionskontrolle und einem guten Unterricht.
Kontakt
Pierre-Carl Link Titel Prof.
Professor für Erziehung und Bildung im Feld sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung
Claudia Schellenberg Titel Prof. Dr.
Professorin für die berufliche Integration von Jugendlichen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen
Von Burnout gefährdet. Undisziplinierte Klassen, anspruchsvolle Eltern, immer mehr Bürokratie: Die Belastung in der Schule ist hoch. Manchmal zu hoch: Jede dritte Lehrkraft ist gefährdet, auszubrennen. «Ein Burnout entwickelt sich nicht in einem halben Jahr», sagt Rebecca Petersen. Sie ist Schulleiterin, Heilpädagogin und Systemischer Coach – und kennt das Problem aus eigener Erfahrung. Ein Knackpunkt ist ihrer Meinung nach das zu späte Eingeständnis, etwas verändern zu müssen: «Stress zu haben gehört heute in der Schule leider fast zum guten Ton», sagt sie. Bis die typischen Symptome eines Burnouts auftreten: ausgeprägte Erschöpfung, Schlafstörungen, reduzierter Appetit, Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Erst jetzt stellt man sich laut Petersen die fundamentalen Fragen: Wer bin ich? Welche Werte habe ich? Was für ein Bild als Heilpädagogin habe ich von mir? Oft fehlt es dann allerdings an der Energie, sich vertieft mit den Antworten zu beschäftigen.
Achtsamkeit als Ressourcen. Doch so weit muss es nicht kommen. «Achtsamkeit ist ein ganz zentraler Faktor der Resilienz», ist Detlev Vogel von der PH Luzern überzeugt. Mit dieser Widerstandsfähigkeit beschäftigt er sich seit Jahrzehnten. Ein typisches Beispiel, welches ihm in seiner Beratertätigkeit immer wieder begegnet, erzählt er im Zeitraffer: Kind stört, Lehrkraft ist verärgert, Klassenklima verschlechtert sich, Störungen nehmen zu, Lehrkraft wird immer erschöpfter, reagiert vermehrt mit Strafen. Eine klassische Störungskaskade. «Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Diese negativen Emotionen sind absolut nachvollziehbar», sagt Vogel, «aber sie verhindern die Selbstregulation und verbauen somit den Weg, die Situation und sich selber unter Kontrolle zu halten.» Besser sei es, einen Schritt zurücktreten. «Man sollte bewusst aus einem inneren Abstand heraus handeln», rät Vogel. Achtsamkeit bedeutet hier: stehenlassen – innehalten – bewusst reagieren. Zum Beispiel mit Hilfe von bewusstem Atmen. «Das schafft einen inneren Raum zwischen Reiz und Reaktion.»
Prävention von Unterrichtsstörungen. Ganz konsequent wäre es indes, solche Störungskaskaden gar nicht erst entstehen zu lassen. «Ein wirkungsvolles Classroom Management kann Unterrichtsstörungen stark reduzieren», sagt Claudia Schellenberg. Was die Co-Leiterin der Tagung und HfH-Professorin beispielsweise damit meint: Wenn die Kinder klare Arbeitsaufträge haben, wird automatisch der Lärm in der Klasse reduziert und damit eine häufige Quelle von Stress. Damit die Kinder diese Arbeitsaufträge möglichst selbständig bewältigen können, brauchen sie sozial-emotionale Kompetenzen: Sie müssen Ablenkungen ausblenden, Frustrationen bewältigen, sich in eine Teamarbeit eingeben. Diese Fähigkeiten sind sowohl für Lehrpersonen als auch für Kinder und Jugendliche wichtig, betont Claudia Schellenberg im folgenden Interview.
Claudia Schellenberg im Gespräch: Lehrpersonen haben Stress in der Schule.
Die Tagung «Stressmanagement und Resilienzförderung» fand am 30. September 2023 an der HfH und online statt. Sie war ein Anlass des Instituts für Verhalten, sozio-emotionale und psychomotorische Entwicklungsförderung und wurde von Claudia Schellenberg, Prof. Dr., Pierre-Carl Link, Prof. und Xenia Müller, Dr. geleitet. Kooperationspartner der Tagung waren das Movetia-Projekt MentEd.ch - Bringing mentalisation-based education to Switzerland (022-1-CH01-IP-0046) sowie der Schulpsychologische Dienst Stadt Zürich.
Autoren: Steff Aellig, Dr., und Dominik Gyseler, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation, September 2023