«Rechenschwäche kann sich durch falschen Unterricht noch verstärken»
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Möchten Sie Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten im Bereich Mathematik fördern? Wollen Sie Inputs zu wirksamen Lernangeboten erhalten? Dann könnte der CAS Förderung bei Rechenschwäche das passende Weiterbildungsangebot für Sie sein.
Schwierigkeiten im Bereich Mathematik gehören zu den häufigsten Lernproblemen in der Schule. Lehrpersonen sowie Schulische Heilpädagog:innen sind bemüht, diese zu unterstützen und zu fördern. Häufig empfinden sie ihr Förderangebot jedoch als nicht ausreichend und Lernfortschritte sind kaum sichtbar. Zudem schildern Weiterbildungsteilnehmende oft Praxissituationen, bei denen sie sich Beratung wünschen. Hier setzt der CAS an: Die Teilnehmenden sollen befähigt werden, die Lernschwierigkeiten zu diagnostizieren und zu verstehen, damit passende und wirksame Lernangebote bereitgestellt werden können.
Erneute Durchführung. Im Jahr 2021 wurde der CAS zum ersten Mal durchgeführt. Unter der Leitung von Anuschka Meier und Marianne Walt haben 21 Teilnehmende den Zertifikatslehrgang im Sommer 2022 abgeschlossen. Das Weiterbildungsangebot im Bereich Mathematikförderung startet nun ab Herbst 2023 erneut.
Interview mit Teilnehmerinnen. Philomena Endner, Rahel Scherbauer und Simone Wyss, alle in unterschiedlichen Schulen und auf verschiedenen Niveaus tätig, haben fünf Fragen zum CAS beantwortet und geben einen Einblick in ihre Motivationen, was sie mitnehmen konnten und wieso sie den CAS empfehlen würden.
- Philomena Endner ist Schulische Heilpädagogin und unterrichtet im Zyklus 1 an der Sprachheilschule in Lenzburg.
- Rahel Scherbauer ist Primarlehrerin und unterrichtet eine Regelklasse auf Primarstufe im Kanton St. Gallen.
- Simone Wyss ist dipl. Mathematikerin ETH und unterrichtet an der kantonalen Schule für Berufsbildung in Aarau.
Warum haben Sie sich für den CAS Förderung bei Rechenschwäche entschieden?
- Philomena Endner: «Seit einigen Jahren unterrichte ich an der Sprachheilschule im Kanton Aargau. Alle unsere Schüler:innen haben eine Spracherwerbsstörung, welche sich vermutlich bei einigen Kindern negativ auf die mathematischen Leistungen auswirkt. In der Literatur wird dieser Zusammenhang angedeutet. Um den betroffenen Kindern gerecht zu werden, ist ein fundiertes Fachwissen notwendig, welches im CAS erworben werden kann.»
- Simone Wyss: «Ich habe im Jahr 2020/2021 meine erste Stelle als Mathematiklehrerin angenommen an der ksb in Aarau. Dort begleite ich die Lernenden auf tiefsten Mathematikniveau während ihrem 10. Schuljahr. Ich habe in meinem ersten Jahr als Lehrperson einige Beobachtungen gemacht, bei welchen mir unklar war, wo ich mit der «Problembehebung» ansetzen muss. Ich vertrete die Meinung, dass ich die Lernenden am besten fördern und unterstützen kann, wenn ich ihre Probleme ganzheitlich verstehe.»
Was gefällt Ihnen besonders gut am Zertifikatslehrgang?
- Simone Wyss: «Ich habe einen guten Einblick in die fehlenden Vorstellungen (der basalen mathematischen Themen) oder in die Fehlvorstellungen (der Basismathematik) von Lernenden bekommen. Ich wurde bestärkt in der Ansicht, dass das Fehlen dieser Vorstellungen fatal ist für das «weitere» Rechnen. Der CAS hat mich ermutigt, mit den 16-jährigen Lernenden den Stoff der Primarschule zu repetieren, auch wenn der Widerstand gross ist.»
- Philomena Endner: «Durch die längere Dauer der Weiterbildung ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten möglich. Durch den Austausch mit den anderen Teilnehmer:innen und den Fachpersonen können Fragen geklärt und neue Perspektiven übernommen werden. Die theoretischen Inhalte werden mit praktischen Beispielen untermauert, so dass der Transfer der Inhalte in den Schulalltag gut gelingt.»
Welche zusätzlichen Fachkompetenzen konnten Sie erwerben?
- Philomena Endner: «Durch den stufenweisen Aufbau des Lehrgangs erhielt ich Einblicke in alle Zyklen und erkannte die Zusammenhänge. Mir wurde bewusst, wie wichtig es ist, dass die Kinder im Zyklus 1 eine gute Zahlenvorstellung bilden und ein Operationsverständnis aufbauen können. Die gewonnenen Einsichten bilden die Grundlage für ein komplexeres, mathematisches Verständnis in grösseren Zahlenräumen. Das Kennenlernen von Diagnostikinstrumenten und das Ausprobieren in der Praxis war bereichernd. Dadurch habe ich für mich und mein Unterrichtssetting passende Diagnostikmöglichkeiten gefunden, die nun als Grundlage für meine Förderplanungen dienen. Neben der verbesserten Förderdiagnostik verwende ich häufiger offene Aufgabenstellungen in meinem Unterricht, um diesen individualisieren zu können und die Kinder zu problemlösendem Denken anzuregen. Zudem hat mich die Weiterbildung darin bestärkt, mathematische Inhalte auf spielerische Art und Weise zu fördern.»
- Rahel Scherbauer: «Rechenschwäche kann auch ein Problem des falschen Lehrens sein oder diese durch falschen Unterricht noch verstärken. Auch mathematisch schwächeren Kindern soll man verschiedene Lösungswege anbieten beziehungsweise mit ihnen thematisieren, damit sie ein besseres Verständnis für Zahlzusammenhänge entwickeln können und nicht nur nach Rezept rechnen. Kommt ein Kind im Unterricht nicht mehr mit, muss man abklären, welche Verstehensgrundlagen fehlen und dort die Kompetenzen aufbauen. Das heisst es nützt nichts, wenn ich mit einem Kind im Millionenzahlenraum arbeite, wenn es den Tausenderzahlenraum nicht verstanden hat. Mathematik hat auch viel mit Sprache zu tun, Wörter aus der Alltagssprache werden in der mathematischen Sprache anderes gebraucht, die Bedeutung der mathematischen Begriffe muss man mit den Kindern erarbeiten.»
Welche fachlichen Inputs konnten Sie bereits in Ihrer Berufspraxis umsetzen? Was hat sich in Ihrem Unterricht geändert?
- Rahel Scherbauer: «Ich achte mehr darauf, dass Kinder eine innere Mengenvorstellung und ein Verständnis für mathematische Aufgaben entwickeln, bevor sie unverstandene Rechnungen auswendig lernen. Ich stelle vermehrt Fragen: Welche Möglichkeit hast du, um die Aufgabe zu lösen? Was könnte dir helfen, um die Aufgabe herauszufinden?»
- Simone Wyss: «Ganz viele. Hier kann ich exemplarisch einen nennen: Im Bereich des Stellenwertverständnisses, weiss ich, dass es oft Vorstellungen gibt, welche bei ganzen Zahlen wunderbar funktionieren, nicht aber bei Dezimalbrüchen (Dezimalzahlen). Oft haben Lernende auswendig gelernt, dass sie eine Null anhängen müssen, wenn sie eine Zahl mit 10 multiplizieren. Wenn sie dann 1.4 mit 10 multiplizieren, dann machen sie das auch und erhalten als Ergebnis 1.40. Diese Lernenden haben offensichtlich ein Problem beim Stellenwertverständnis. Diese Schwierigkeit kann problemlos aufgedeckt und mit dem richtigen Material gut behoben werden, wenn die Lernenden dazu bereit sind.»
Wieso würden Sie den CAS weiterempfehlen?
- Rahel Scherbauer: «Weil man aktuelles didaktisches Fachwissen zur Förderung im Mathematikunterricht in allen drei Zyklen erarbeitet und sich kritisch mit eigenen ‹bewährten› Unterrichtsmethoden und deren Sinnhaftigkeit auseinandersetzt.»
- Simone Wyss: «Um die Fehler der Lernenden besser zu verstehen, eignet sich der Zertifikatslehrgang für alle Lehrpersonen, welche Mathematik unterrichten und daran interessiert sind, die Lernenden dort abzuholen, wo sie stehen.»
- Philomena Endner: «Das erworbene Fachwissen gibt mir Sicherheit für mein eigenes Handeln. Es befähigt mich, eine gute Diagnose für ein Kind zu erstellen und danach passende Förderangebote zu planen und durchzuführen, so dass das Kind entsprechende mathematische Kompetenzen aufbauen kann. Durch die Weiterbildung erhielt ich ein tieferes Verständnis zum Aufbau der mathematischen Kompetenzen. Dieses Verständnis hilft mir, im Einzelfall zu entscheiden, an welchen Kompetenzen als nächstes gearbeitet werden soll.»
Eckdaten. Das CAS startet am 27. September 2023 und dauert bis 30. November 2024. Anmeldungen sind möglich bis zum 30. Juni 2023.
Autorin: Kristina Vilenica, MA, Hochschulkommunikation, HfH