Inklusion auf der Sekundarstufe I: Herausforderungen und Gelingensbedingungen

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Auf der Sekundarstufe I stösst Inklusion verstärkt an Grenzen. Woran liegt das? Welches sind die Herausforderungen und Gelingensbedingungen? Das Projekt besteht aus drei Teilen:

  1. Der aktuelle Diskurs zu den möglichen Einflussfaktoren auf die Inklusion auf der Sekundarstufe I wird mittels Literaturanalyse aufgearbeitet.
  2. In Interviews mit Lehrpersonen, schulischen Heilpädagog:innen und Schulleitenden wird analysiert, wie Inklusion im Schulalltag erlebt und organisiert wird.
  3. Wie Inklusion im konkreten fachlichen Kontext umgesetzt werden kann, wird für den Fachbereich Natur-Technik (Biologie) exemplarisch konzipiert.

Projektleitung

Daniela Nussbaumer Titel Prof. Dr.

Funktion

Professorin für MINT-Lernen und -Lernentwicklung unter erschwerten Bedingungen

Claudia Hofmann Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Researcher

Fakten

  • Dauer
    02.2024
    01.2025
  • Projektnummer
    1_35

Ausgangslage

Inklusion ist ein zentrales Ziel der Bildungspolitik und strebt die gleichberechtigte Teilhabe aller Schüler:innen am Unterricht an, unabhängig von ihren individuellen Unterstützungsbedarfen. Dies umfasst sowohl die soziale als auch die fachliche Integration. Auf der Sekundarstufe I zeigt sich jedoch zunehmend, dass Inklusion an strukturelle Grenzen stösst. Ein zentrales Problem ist die Mehrgliedrigkeit dieser Schulstufe, die es ermöglicht, Schüler:innen nach Leistung oder Verhalten in unterschiedliche Schulzweige einzuteilen (z. B. Sturm, 2021, Gresch et al., 2021). Diese Struktur führt oft dazu, dass Heterogenität zu Umstufungen statt zu inklusiven Massnahmen führt. Zudem gewinnt auf dieser Stufe das Fachwissen der Lehrkräfte an Bedeutung, wodurch Schüler:innen mit besonderem Bildungsbedarf weniger im Mittelpunkt stehen. Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Forschungsfrage: Welche Herausforderungen und Gelingensbedingungen beeinflussen die erfolgreiche Inklusion auf der Sekundarstufe I? Ziel des Projekts ist es, fundierte Erkenntnisse zu gewinnen, die als Grundlage für zukünftige Forschungsprojekte und die Weiterentwicklung der Fachpraxis dienen können.

Vorgehen

Das Projekt untersucht die Herausforderungen und Gelingensbedingungen der Inklusion auf der Sekundarstufe I in drei miteinander verbundenen Schritten. Zunächst wird der aktuelle Diskurs zur Inklusion mittels einer systematischen Literaturanalyse aufgearbeitet. Dabei werden zentrale Faktoren identifiziert, die den Erfolg inklusiver Ansätze auf dieser Schulstufe beeinflussen. Im zweiten Schritt wird durch Interviews mit Schulleitungen, Lehrpersonen und schulischen Heilpädagog:innen untersucht, wie Inklusion in der Praxis umgesetzt und erlebt wird. Diese Erkenntnisse ergänzen die theoretischen Ergebnisse der Literaturanalyse. Im dritten Teil wird schliesslich exemplarisch aufgezeigt, wie Inklusion im Fach Biologie konkret umgesetzt werden kann. Hierbei liegt der Fokus auf der gleichzeitigen Förderung inhaltlicher und sozialer Kompetenzen.

Teil 1: Einflussfaktoren auf die Inklusion im aktuellen Diskurs (Literaturanalyse)

Dieser Teil des Projekts zielt darauf ab, den aktuellen Diskurs zur Inklusion auf der Sekundarstufe I systematisch aufzuarbeiten. Die Literaturanalyse konzentriert sich auf den deutschsprachigen Raum und umfasst Studien aus dem Zeitraum 2000 bis heute. Berücksichtigt werden sowohl Primärstudien als auch Reviews und Überblicksartikel ohne eigene Erhebungen. Die Recherche erfolgt anhand festgelegter Suchbegriffe in Datenbanken wie ERIC, APA PsychINFO, PSYNDEX und Education Source. Nach der Auswahl werden die relevanten Artikel thematisch codiert und ausgewertet. Die Literaturanalyse beantwortet folgende Fragen:

  • Wie werden die Herausforderungen der Inklusion auf der Sekundarstufe I in der bestehenden Literatur beschrieben?
  • Welche Faktoren beeinflussen den Erfolg von Inklusion auf der Sekundarstufe I?
  • Welche Gelingensbedingungen für Inklusion auf der Sekundarstufe I werden in der Literatur identifiziert?

Teil 2: Herausforderungen und Gelingensbedingungen in der Praxis (qualitative Fallstudien)

In diesem Abschnitt wird untersucht, wie Inklusion auf der Sekundarstufe I in der Praxis umgesetzt wird. Dazu werden vier Fallstudien in den Kantonen St. Gallen und Zürich durchgeführt, die unterschiedliche Organisationsformen (z. B. dreigliedrige Systeme, Schulen mit und ohne Förderzentren, Kleinklassen) sowie geographische Kontexte (städtisch, Agglomeration, ländlich) abdecken. Interviews mit der Schulleitung, zwei Klassenlehrpersonen sowie einer schulischen Heilpädagog:in bilden die Datengrundlage. Der Interviewleitfaden basiert auf den zentralen Fragestellungen des Projekts sowie auf den Ergebnissen der Literaturanalyse. Die Auswertung erfolgt durch qualitative Inhaltsanalyse. Zunächst werden die im Literaturreview identifizierten Hauptkategorien – wie Herausforderungen und Gelingensbedingungen der Inklusion – deduktiv auf das Interviewmaterial angewendet. Ergänzend dazu werden im induktiven Verfahren weitere praxisrelevante Kategorien aus dem Material entwickelt, um ein umfassendes Bild der Umsetzung von Inklusion zu erhalten.

Teil 3: Konkretisierung inklusiver Didaktik im Fach Natur-Technik

Im dritten Teil des Projekts steht das Fach Natur-Technik (mit Schwerpunkt Biologie) im Fokus, um zu zeigen, wie Inklusion in einem fachspezifischen Kontext umgesetzt werden kann. Dabei wird ein Ansatz erläutert, der sowohl die fachliche Förderung als auch die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen gleichzeitig anspricht. Ziel ist es, aufzuzeigen, dass beide Bereiche eng miteinander verknüpft sind und gemeinsam gefördert werden können, um eine umfassende Inklusion zu ermöglichen.

Forschungsergebnisse zeigen, dass sozial-emotionale Kompetenzen einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Inklusion leisten, da sie den Schüler:innen helfen, sich selbst zu regulieren, im Team zu arbeiten und Konflikte konstruktiv zu lösen (Payton et al., 2020). Diese Kompetenzen sind entscheidend, um eine aktive Teilnahme aller Schüler:innen am sozialen und fachlichen Leben der Klasse zu gewährleisten. Auf der Grundlage von Metastudien sollen im Fach Biologie empirisch verifizierte Wirkfaktoren zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen integriert werden. Das Projekt orientiert sich dabei am CASEL-Framework, einem anerkannten Modell zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen im Bildungsbereich. Neben der fachlichen und persönlichen Entwicklung der Schüler:innen zielt das Projekt darauf ab, die Lehrkräfte zu befähigen, heterogene Lerngruppen erfolgreich zu managen und inklusive Lernumgebungen zu schaffen.

Erwartete Ergebnisse

Die ersten beiden Projektteile erfassen den Stand der Inklusion auf der Sekundarstufe I. Die Literaturanalyse bietet einen Überblick über Herausforderungen und Erfolgsfaktoren, wobei erste Ergebnisse auf zentrale Einflussfaktoren hinweisen. Die Interviews sollen die Perspektiven von Schulleitungen, Lehrpersonen und schulischen Heilpädagog:innen einbeziehen und die theoretischen Erkenntnisse um praktische Einblicke ergänzen. Es wird erwartet, dass die Praxisansichten neue Aspekte aufzeigen, die die Ergebnisse der Literaturanalyse erweitern oder vertiefen. Im dritten Teil sollen praxisnahe Vorschläge für die Umsetzung inklusiver Ansätze im Fach Biologie entwickelt werden, die auf den bisherigen Erkenntnissen basieren und eine verbesserte Unterrichtsgestaltung ermöglichen.

Diskussion

Die Studienergebnisse sollen dazu beitragen, Verantwortliche im schulischen Kontext gezielt für die Herausforderungen der Inklusion auf der Sekundarstufe I zu sensibilisieren. Es wird empfohlen, praxisnahe Fortbildungen anzubieten, die differenzierte Lernsettings und inklusive Didaktik vermitteln, um Lehrkräfte dabei zu unterstützen, sozial-emotionale Kompetenzen im Unterricht zu fördern und inklusive Massnahmen gezielt umzusetzen. Basierend auf den Forschungsergebnissen werden weiterführende Projekte konzipiert sowie spezifische Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen und schulische Heilpädagog:innen entwickelt. Ziel dieser Weiterbildungen ist es, Lehrkräfte in ihrer täglichen Praxis zu stärken und sie dazu zu befähigen, inklusive Lernumgebungen erfolgreich zu gestalten.

Literatur

  • Gresch, C., Schmitt, M., Külker, L., Schledjewski, J., Böhme, K., & Grosche, M. (2021). Schulische Ausgangslagen und organisatorische Gestaltungsformen von Inklusion in der Sekundarstufe I in Deutschland. Zeitschrift für Heilpädagogik, 72, 484–507.
  • Payton, J. W., Wardlaw, D. M., Graczyk, P. A., Bloodworth, M. R., Tompsett, C. J., & Weissberg, R. P. (2000). Social and emotional learning: A framework for promoting mental health and reducing risk behavior in children and youth. Journal of School Health, 70(5), 179–185. https://doi.org/10.1111/j.1746-1561.2000.tb06468.x
  • Sturm, T. (2021). Konstruktion von (Leistungs-)Differenzen in der Schule – Ein transnationaler Fallvergleich unterrichtlicher Praxen. In A. Köpfer, J. Powell, & R. Zahnd (Hrsg.), Handbuch Inklusion international: Globale, nationale und lokale Perspektiven auf Inklusive Bildung. Verlag Barbara Budrich. S. 407–421. https://doi.org/10.2307/j.ctv1f70kvj.25