Teilhabe in der Kindertagesstätte (TiKi): Gelingensbedingungen und institutionelle Voraussetzungen

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Das Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft beginnt mit der Geburt und ist eine bedeutende Voraussetzung für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. In der Schweiz ist das Recht auf Inklusion im Vorschulbereich noch nicht gesetzlich verankert. Auf nationaler und kantonaler Ebene gibt es allerdings vermehrt Anstrengungen, Kinder mit Behinderung in Betreuungseinrichtungen der Frühen Bildung zu integrieren. Der gleichberechtigte Zugang von Kindern mit Behinderung zu Bildungs- und Betreuungsangeboten bedingt aber auch Herausforderungen für öffentliche oder private Spielgruppen, Kindertagesstätten (Kita) und weitere Angebote der Frühen Bildung. Im Forschungsprojekt wurde das Gelingen inklusiver Betreuung exemplarisch mit dem Ziel untersucht, die verschiedenen systemischen Ebenen, welche in der Inklusion wirksam sind, zu betrachten und mögliche Zusammenhänge zu erfassen.

Projektleitung

Matthias Lütolf Titel MA

Funktion

Senior Lecturer

Simone Schaub Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Researcher

Fakten

  • Dauer
    08.2017
    12.2020
  • Projektnummer
    3_21

Fragestellungen

Mit Blick auf die verschiedenen systemischen Wirkebenen wurden folgende Fragestellungen untersucht:

  1. Wie gestalten sich Beteiligung und Interaktion und damit die soziale Teilhabe von Kindern mit Behinderung?
  2. Welche Einstellungen zur Inklusion haben die Fachpersonen der Kita und welche Selbstwirksamkeitsüberzeugungen haben sie?
  3. In welchen Bedingungszusammenhängen gelingt die Inklusion von Kindern mit Behinderung aus Sicht der Fachpersonen und der Eltern.

Methodisches Vorgehen

Die Studie TiKi wurde mit einem Mixed Method Design durchgeführt. In einem ersten Schritt wurde die soziale Teilhabe von Kindern mit Behinderung in der Kindertagesstätte exemplarisch untersucht. In Videoaufnahmen wurde das Verhalten von 10 Kindern mit und 11 Kindern ohne Behinderung während des Freispiels beobachtet und die soziale Teilhabe und Partizipation anhand von zwei Aspekten analysiert: Beteiligung in Spiel- und Gruppenprozessen und Interaktion. Im Wissen um die Wichtigkeit der Fachpersonen der Kindertagesstätten bei der Umsetzung der Inklusion wurden 119 Mitarbeitende der Stiftung GFZ in einem zweiten Schritt zu ihren Einstellungen und ihrer Selbstwirksamkeit schriftlich befragt. Die daraus gewonnenen Ergebnisse wurden in problemzentrierten Interviews mit sechs Fachpersonen der Kindertagesstätten vertieft und fördernde und hemmende Gelingensfaktoren diskutiert. Abschliessend wurde die Sicht von vier Eltern von Kindern mit Behinderung auf die inklusive Betreuung eben-falls im Rahmen von Einzelinterviews erfragt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Beobachtung der Kinder verweisen auf eine hohe soziale Teilhabe der Kinder mit Behinderung. Unterschiede zeigten sich in einer häufigeren passiven Teilhabe sowohl hinsichtlich der Beteiligung am Spiel als auch der Interaktionen, sowie häufigeren Übergängen zwischen Aktivitäten. Die Ergebnisse der Fragebogenerhebung zu den inklusiven Überzeugungen zeigten eine hohe Zustimmung der Fachpersonen zur inklusiven Bildung in der frühen Kindheit, wobei die Selbstwirksamkeit am niedrigsten erlebt wurde. Positive inklusive Überzeugungen standen insbesondere mit der aktuell erlebten inklusiven Betreuung in Zusammenhang. Ein hoher Förder- und Unterstützungsbedarf der Kinder ging einher mit einer niedrigen Selbstwirksamkeit.

Im ökologischen Mehrebenenmodell von Heimlich (2016) zur Inklusion steht das Kind mit seinen individuellen Bedürfnissen im Zentrum und wird umrahmt von einem Kita-Setting, welches adäquate Spiel- und Lernsituationen mit Unterstützung von Fachpersonen verschiedener Professionen ermöglicht. Orientierend an den Aufgaben, welche sich daraus für die Entwicklung inklusiver Kitas ergeben, konnten folgende gelingenden Bedingungen festgehalten werden:

  • Die inklusive Haltung als Norm und damit das inklusive Konzept bildet Grundlage und Leitmedium für die Qualitätsentwicklung und ermöglicht die Sichtbarkeit nach aussen.
  • Die Inklusion ist die gemeinsame Aufgabe eines Netzwerkes (Eltern, externe Fachpersonen, Behörden, etc.), welches gegenseitiges Verständnis für die Erwartungen, Aufgaben und Realitäten der inklusiven Betreuung zeigt. Das Netzwerk wird von der Trägerschaft verantwortet und – im Sinne von Best Practice – gesichert.
  • Inklusive Handlungskompetenzen werden in einem heterogenen, stabilen und konstanten Team erworben, welches in einer Kultur der Zusammenarbeit und transparenten Kommunikation gemeinsam durch die gelebte Inklusion lernt.
  • Die Betreuung von Kindern mit Behinderung bereichert die vorhandenen Handlungskompetenzen im Umgang mit Heterogenität mithilfe der Unterstützung von internen Fachpersonen der Heilpädagogischen Früherziehung.
  • Damit Spiel- und Lernsituationen inklusive Wirkung gestalten, berücksichtigt die Gruppenzusammensetzung die Bedürfnisse aller Kinder. Die Fachpersonen werden in internen und externen Weiterbildungsangeboten und in der Berufsausbildung in inklusiver Pädagogik geschult.

Literatur

  • Heimlich, U. (2016). Inklusion und Qualität. Auf dem Weg zur inklusiven Kindertageseinrichtung. Frühförderung interdisziplinär, 35(1), 28-39.

Publikationen

  • Lütolf, M. & Schaub, S. (2021). Inklusion in der Kindertagesstätte: Eine Mixed Method Studie zu Einstellungen und Selbstwirksamkeit der Betreuenden. Forschungsbericht zu 20 Jahren Forschung und Entwicklung an der HfH.

Teilhabe in der Kindertagesstätte (TiKi) – Schlussbericht

  • Teilhabe in der Kindertagesstätte (TiKi) – Schlussbericht

Publikationen

  • Schaub, S., & Lütolf, M.
    Inclusive early childhood education and care: Attitudes, self-efficacy and behavioral intentions of caregivers
    [Konferenzabstract].
    2nd Annual Meeting of the Swiss Society for Early Childhood Research,
    Zürich, Schweiz.
  • Lütolf, M., & Schaub, S.
    Inclusion in early childhood care and education: An observational study of children’s participation in free play
    [Poster].
    1st Annual Meeting of the Swiss Society for Early Childhood Research,
    Lausanne, Schweiz.
  • Lütolf, M., & Schaub, S.
    (2017).
    Integration von Kindern mit Behinderung in der Frühen Bildung. Juristische und empirische Ausgangslage, Aufgaben und Anforderungen.
    Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik,
    23
    (9),
    6–13.
  • Lütolf, M., & Schaub, S.
    (2021).
    Kinder brauchen Kinder - wie Inklusion in der Kita gelingen kann.
    Heilpädagogik aktuell,
    33,
    Artikel 8.
  • Lütolf, M.
    Inklusion in der Kita: Gelingensfaktoren und Umsetzung aus Sicht der HFE.
    Zoomero, Berufsverband Heilpädagogische Früherziehung (BVF),
    Zürich, Schweiz.
  • Lütolf, M., & Schaub, S.
    Early childhood care and education professionals’ views on the inclusion of children with disability: A mixed-method study on attitudes and self-efficacy
    [Poster].
    3rd Annual Meeting of the Swiss Society for Early Childhood Research,
    Zürich, Schweiz.
  • Lütolf, M., & Schaub, S.
    Teilhabe in der Kindertagesstätte (TiKi).
    Präsentation Forschungsprojekt «TiKi»,
    GFZ Familienzentrum Zeltweg, Zürich.
  • Lütolf, M., & Schaub, S.
    Teilhabe in der Kindertagesstätte (TiKi): Präsentation Forschungsprojekt «TiKi»​.
    Informationsanlass Stiftung GFZ,
    Zürich, Schweiz.