Mit positiven Emotionen gegen Lernprobleme

Tagungsrückblick

Sozial-emotionales Lernen (SEL) vermindert nachweislich Schulprobleme. Doch in der Praxis ist der Ansatz noch kaum angekommen. Das zeigte die Tagung «Evidenzbasierte Förderung mit sozial-emotionalem Lernen».

Kontakt

Dennis Christian Hövel Titel Prof. Dr.

Funktion

Leiter Institut für Verhalten, sozio-emotionale und psychomotorische Entwicklungsförderung / Professor

Liliana Tönnissen Titel lic. phil.

Funktion

Senior Lecturer

Pierre-Carl Link Titel Prof.

Funktion

Professor für Erziehung und Bildung im Feld sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung

Wenn ein Kind in einer Mathe-Prüfung schlecht abschneidet, muss es an seinem Fachwissen arbeiten, damit es beim nächsten Mal besser abschneidet. Das ist unbestritten. Was häufig jedoch durch den Rost fällt, ist die Bedeutung überfachlicher Kompetenzen für den Lernerfolg im Unterricht. Dabei hat man in der Forschung einiges über diese Zusammenhänge herausgefunden.

SEL wirkt. «Schulen, die im Unterricht mit SEL arbeiten, weisen weniger Kindern einen heilpädagogischen Förderbedarf zu», sagte Dennis Hövel gleich zu Beginn der Veranstaltung. SEL, das steht für den Ansatz des sozial-emotionalen Lernens. Und der HfH-Professor und Co-Tagungsleiter doppelte gleich nach: «Schüler und Schülerinnen mit Lernschwierigkeiten verbessern dadurch nicht nur ihre sozialen, sondern auch ihre akademischen Fähigkeiten.» Dieses SEL, dem Dennis Hövel insgesamt eine starke, wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit bescheinigt, umfasst eine ganze Reihe von Massnahmen und Programmen, von denen vierzig gut evaluiert sind. Dabei lernen Kinder beispielsweise, ihre Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen zu regulieren – also etwa dann, wenn die Mathe-Prüfung einmal mehr verhauen wurde und das Kind seiner Frustration am liebsten freien Lauf lassen würde.

Noch nicht in der Praxis angekommen. Doch bei den heilpädagogischen Fachpersonen und Lehrpersonen im Unterricht ist dieser Ansatz noch weitgehend unbekannt, wie Dennis Hövel weiss: «Nur jede fünfte Person kennt überhaupt eine von diesen verschiedenen Massnahmen.» Oder anders formuliert: 80 Prozent haben noch nie von einem Ansatz gehört, mit dem eines der grössten Probleme im Unterricht wirkungsvoll angepackt werden könnte. Woran das liegt und was man alles tun müsste, damit sich das SEL in der Praxis dann auch etablieren kann, erklären Dennis Hövel und Co-Tagungsleiterin Liliana Tönnissen im Video-Interview.

Dennis Hövel und Liliana Tönnissen im Gespräch mit Steff Aellig von der Wissenschaftskommunikation der HfH.

Killersätze. Einer, der jahrelang mit dem SEL gearbeitet hat, ist Oliver Hengartner. Der HfH-Dozent betont, dass bei der Anwendung des Ansatzes «mehr dahintersteckt, als man auf den ersten Blick vermuten könnte». Bei einem Medikament würde man sagen: Es hat einen langen Beipackzettel. Hengartner nimmt das Beispiel des Kindes mit Problemen im Mathe-Unterricht auf. Eine Massnahme besteht etwa darin, dieses Kind von Killersätzen wie «Ich werde sowieso immer schlecht sein in Mathe» zu positiven Gedanken wie «Ich mache es, so gut es eben geht» hinzuführen. Das ist aber leichter gesagt als getan: «Diese negativen Überzeugungen haben sich zum Teil schon über Jahre hinweg in den Köpfen dieser Kinder eingenistet», weiss Hengartner, «man muss ihnen deshalb erstmal ganz konkrete Vorschläge für die positiven Gedanken machen.»

Beziehung als Basis. Damit die Kinder mit der Zeit bereit sind, ihre negativen Überzeugungen über Bord zu schmeissen, braucht es zudem eine vertrauensvolle Beziehung, und «diese entwickelt sich ja auch nicht von heute auf morgen». Ein entscheidender Faktor sind darüber hinaus kleine Erfolgserlebnisse: «Gerade in den ersten Wochen habe ich mit solchen Kindern nur Aufgaben gemacht, die sie zu grossen Teilen lösen konnten», sagt Hengartner. Bis ein Kind mit Lernproblemen dann auch tatsächlich positive Überzeugungen in seinen Alltag einbauen kann, dauert es oft Monate oder sogar Jahre: «Als Lehrperson braucht man neben dem Fachwissen vor allem viel Geduld. Man muss viel wiederholen und es aushalten, dass es lange nicht vorwärtsgeht. Schnelle Erfolgserlebnisse sind die Ausnahme.»

Die Tagung «Evidenzbasierte Förderung mit sozial-emotionalem Lernen» fand am 26. November 2022 an der HfH statt. Sie war ein Anlass des Instituts für Lernen unter erschwerten Bedingungen und wurde von Prof. Dennis Hövel, Prof. Pierre-Carl Link und Liliana Tönnissen geleitet. Kooperationspartner war das Movetia-Projekt MentEd.ch - Bringing mentalisation-based education to Switzerland (022-1-CH01-IP-0046).

Autoren: Steff Aellig, Dr., und Dominik Gyseler, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation