Inklusives Hochschulangebot für Menschen mit sogenannter kognitiver Beeinträchtigung

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Menschen mit sogenannter kognitiver Beeinträchtigung, die sich selbst zunehmend als Menschen mit Lernschwierigkeiten bezeichnen, sind im tertiären Bereich des Schweizer Bildungssystems praktisch unsichtbar es gibt kaum Bildungsangebote für sie. Dies, obwohl die 2014 von der Schweiz unterschriebene UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) dies explizit fordert. Hier sieht das Projektteam Handlungsbedarf und entwickelt ein Hochschulangebot mit und für Menschen mit Lernschwierigkeiten mit dem Ziel der Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt. Das Projekt beinhaltet nicht nur die Entwicklung, sondern auch die Umsetzung dieses Hochschulangebots, was der HfH einen weiteren Schritt hin zu einer inklusiven Hochschule ermöglicht.

Projektleitung

Barbara Michel Titel lic. phil.

Funktion

Senior Lecturer

Fakten

  • Dauer
    04.2024
    12.2027
  • Projektnummer
    3_37

Ausgangslage

Menschen mit sogenannter kognitiver Beeinträchtigungen/Lernschwierigkeiten haben zur Zeit in der Schweiz nur sehr vereinzelt Zugang zu hochschulischen Bildungsangeboten bzw. zu Angeboten im tertiären Bildungsbereich. Dies widerspricht den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), welche die Schweiz 2014 unterschrieben und zu deren Einhaltung sie sich damit verpflichtet hat. Laut Artikel 24 UN-BRK sollen «die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen» (Vereinte Nationen, 2006, 22) gewährleisten und sicherstellen, «dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben»(ebd.).

In den Abschliessenden Bemerkungen zum Initialstaatenbericht der Schweiz ist zu lesen, dass der Ausschuss mit Besorgnis Folgendes feststellt: «Hindernisse für den Zugang zu Berufsbildung und Hochschulbildung für Studierende mit Behinderungen, insbesondere für Studierende mit geistigen oder psychosozialen Behinderungen» (CRPD, 2022, 12, 47.c). Was das für betroffene Menschen bedeuten kann, zeigt diese Aussage eines Menschen mit sogegannter kognitiver Beeinträchtigung: «Man muss Menschen Gelegenheit geben, diese Selbstsicherheit und Kompetenzen zu entwickeln. Im ‘vorigen Leben’, war keine Inklusion da, ich musste viel mit den Händen arbeiten und nicht mit dem Kopf. Das fehlte mir ‘mega’. Ich fand ‘das kann es doch nicht sein’, ich bin 34, ich will auch etwas anderes machen und ich will den Kindern etwas geben.»

Dies nimmt das Projektteam zum Anlass, gemeinsam mit Menschen mit sogenannter kognitiver Beeinträchtigung/Lernschwierigkeiten ein inklusives Hochschulangebot zu entwickeln und anschliessend durchzuführen. Ziel ist es, dass die Absolvierenden dieses Hochschulangebots einen Kompetenznachweis erwerben, welcher ihnen den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt (siehe auch Artikel 27 der UN-BRK) erleichtern kann. Denn mit dem erfolgreichen Absolvieren des inklusiven Hochschulangebots ist die Erarbeitung eines Referats verbunden, welches an Inklusion interessierte Unternehmen, Behörden, Institutionen oder Hochschulen mit den Absolvierenden als Referierende als Dienstleistung einkaufen können. Das Hochschulangebot qualifiziert die Absolvierenden somit sowohl in fachlicher Hinsicht bezüglich des Themenkomplexes «Inklusion» als auch bezüglich Kommunikations-, Beratungs- und Vortragskompetenzen für eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt und trägt damit zur gesellschaftlichen Teilhabe bei.

Neben der oben skizzierten, direkt für die anschliessende Praxis der Absolvierenden nützliche Abschlussarbeit, bietet das Hochschulangebot zudem für die Dozierenden die Gelegenheit inklusive Lehr-Lern-Settings sowie für alle HfH-Mitarbeitenden die Möglichkeit, Strukturen und Kommunikation bezüglich ausbildungsrelevanter Belange so zu entwickeln, dass die Absolvierenden am Hochschulgeschehen barrierefrei teilhaben können – hin zu einer inklusiven Hochschule. Es besteht der Anspruch inklusiv für die Inklusion auszubilden, was bedeutet, dass die Absolvierenden dieses Hochschulangebots gemeinsam mit Studierenden der bestehenden Studiengängen Lehrveranstaltungen besuchen, um so ein von- und miteinander Lernen zu ermöglichen.

Vorgehen

Projektphase Entwicklung (06.24–01.25). Entwicklung des inklusiven Hochschulangebots in Absprache mit dem Projektausschuss, unter Beibezug von potenziellen Absolvierenden und im Austausch mit in Frage kommenden Modulleitenden.

Projektphase Durchführung (FS25–FS28). Die Durchführung des ersten dreisemestrigen Durchgangs ist ab dem FS25 geplant, zwei weitere sollen folgen (FS26–FS27 und FS27–FS28).

Projektphase Evaluation (FS25–FS28). Das Projekt wird fortlaufend mit Fokus auf folgende Projektziele evaluiert:

  1. Beitrag zum Recht auf lebenslanges Lernen durch einen Zugang zur Hochschulbildung (UN-BRK, Artikel 24).
  2. Entwicklung, Durchführung und Evaluation eines inklusiven Hochschulangebots an der HfH:
    1. Absolvierende nehmen gleichberechtigt an den Lehrveranstaltungen teil
    2. Absolvierende, Studierende und Dozierende bekommen während der Lehrveranstaltungen Gelegenheit zur Erweiterung ihrer sozialen und kommunikativen Kompetenzen
    3. In den Lehrveranstaltungen werden die Lernausgangsbedingungen der Absolvierenden berücksichtigt
    4. Studierende lernen Absolvierende in der Rolle von Mitlernenden kennen
    5. Dozierende lernen Lehrveranstaltungen inklusiv zu planen und durchzuführen
  3. Die Hochschule etabliert für die angebotsrelevanten Belange der Absolvierenden inklusive Strukturen.
  4. Im Schweizer Hochschulraum wird ein Beispiel für ein inklusives Bildungsangebot für Menschen mit sogenannter kognitiven Beeinträchtigung/Lernschwierigkeiten etabliert.
  5. Erhöhung der Teilhabe von Menschen mit sogenannter kognitiven Beeinträchtigung am ersten Arbeitsmarkt (siehe Artikel 27 UN-BRK).

Es ist vorgesehen, das inklusive Hochschulangebot mit 1–2 Absolvierenden zu starten, die bereits über Ausbildungserfahrung verfügen.

Erwartete Ergebnisse

In Anlehnung an die oben aufgeführten Projektziele, wird erwartet, dass sich das inklusive Hochschulangebot für Menschen mit sogenannter kognitiver Beeinträchtigung/Lernschwierigkeiten im Schweizer Hochschulraum etabliert. Zum einen als kontinuierliches Angebot an der HfH, zum anderen als Ideengeber für ähnliche Angebote an anderen Schweizer Hochschulen. Durch die erworbene Expertise zum Thema Inklusion sollen die Absolvierenden einen Beitrag zum Fortschreiten der gesellschaftlichen Inklusion in der Schweiz leisten können, der in dieser Form so nur von ihnen als betroffene Person und als Fachperson zur Verfügung gestellt werden kann. Damit würde gleichzeitig ihre eigene Inklusion in Form der Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt unterstützt. Darüber hinaus eröffnet sich der HfH als Hochschule die Möglichkeit in ihrer Lehre, in ihren Prozessen und im Miteinander aller dort zusammenkommenden Personen Inklusion zu leben. 

Literatur

  • Depauly, M., & Labhart, D. (2021). Die Entwicklung einer inklusionsbefürwortenden Haltung und der Bereitschaft zur Umsetzung von Inklusion – eine herausfordernde Aufgabe für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In D. Labhart, C. Müller Bösch & M. Gubler (Hrsg.), écolsiv – Schule inklusiv. Ein Hochschulprogramm inklusiver Bildung (S. 163–179). Edition SZH/CSPS.
  • Feuser, G. (2021). Inklusion auf Hochschulebene; Begründungszusammenhänge. In D. Labhart, C. Müller Bösch & M. Gubler (Hrsg.). écolsiv – Schule inklusiv. Ein Hochschulprogramm inklusiver Bildung (S. 27–43). Edition SZH/CSPS.
  • Gubler, M., & Labhart, D. (2021). Die Entwicklung von Haltungen und der Bereitschaft zur Umsetzung von Inklusion im Projekt écolsiv. In D. Labhart, C. Müller Bösch & M. Gubler (Hrsg.), écolsiv – Schule inklusiv. Ein Hochschulprogramm inklusiver Bildung (S. 142–162). Edition SZH/CSPS.
  • Labhart, D., Müller Bösch, C., & Gubler, M. (2021) (Hrsg.). écolsiv – Schule inklusiv. Ein Hochschulprogramm inklusiver Bildung. Edition SZH/CSPS. 
  • Labhart, D., Müller Bösch, C., & Gubler, M. (2022). Die Hochschule öffnen für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung: Ziele, Standards und Modelle. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 28(1–2), 29–37.
  • Vereinte Nationen. (2006). Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK).
  • https://www.edi.admin.ch/edi/de/home/fachstellen/ebgb/recht/internation…
  • Vereinte Nationen/Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. (2022). CRPD. Abschliessende Bemerkungen zum Initialstaatenbericht der Schweiz. Übersetzung der offiziellen englischen Version auf Deutsch im Auftrag des EBGB). https://www.edi.admin.ch/edi/de/home/fachstellen/ebgb/recht/internation…

Publikationen

  • Müller Bösch, C., & Michel, B.
    Lebenslanges Lernen an der Hochschule : Lernen im Kontext von kognitiver Beeinträchtigung
    [Konferenzvortrag].
    Konferenz der Lehrerenden der Geistigbehindertenpädagogik (KLGH) 2024,
    Ludwigsburg, Deutschland.
  • Müller Bösch, C., Labhart, D., Michel, B., Deuss, C., Gubler, M., Studer, T., Strolz, S., Huwyler, L., Heuberger, R., & Raissig, C.
    Neue Wege inklusiver Hochschulbildung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung
    [Konferenzvortrag].
    13. Schweizer Kongress für Heilpädagogik: Die BRK in der Schweiz: Bilanz und Perspektiven,
    Universität Freiburg.